SANVT PORTRAITS NO.05

Brodie Vissers

Kaffee kochen auf dem Fahrrad? Für Brodie Vissers ist das kein Witz – sondern wirklich Teil seiner Arbeit. Filmemacher, Kreativdirektor und Alltagsritualist: Brodie bewegt sich mit seiner Arbeit an der Schnittstelle von Getränkekultur, Geschichte und Ästhetik. Mal radelt er durch Barcelona und brüht unterwegs einen Espresso, dann wieder dokumentiert er eine Teezeremonie in Kyoto. Mit Wurzeln in der Welt des Spezialitätenkaffees und stets mit Kamera zur Hand, verfolgt er eine klare Mission: zu zeigen, dass hinter jeder Tasse und jedem Glas – ob Kaffee, Tee oder etwas Stärkerem – eine Geschichte steckt, die es wert ist, erzählt zu werden.


Fotografie von Jan Luengo

 

Brodie, danke, dass du dir die Zeit nimmst. Lass uns ganz vorne anfangen: Wie hat eigentlich deine Begeisterung für Getränke begonnen?

 

Ob ihr es glaubt oder nicht – sie begann mit Tee! Ich bin 2012 für ein Jahr nach China gezogen und dort gab es den besten Tee, den ich je probiert hatte. Grüntee, Schwarztee, Pu’er – ich liebte alles, und vor allem die Kultur, die damit einherging. Dann wurde ich neugierig auf Kaffee, weil er in derselben Provinz – Yunnan – angebaut wurde und ich fand diese Verbindung spannend. In den darauffolgenden Jahren habe ich mich dann intensiv mit Spezialitätenkaffee beschäftigt – mit den Geschichten dahinter, den Menschen, die die Branche bewegen, der Herstellung und natürlich dem Geschmack. Und das hat mich ganz natürlich zu einer Faszination für alle handwerklich hergestellten Getränke geführt – von Craft-Bier über Naturwein bis zu Cocktails und besonderen Spirituosen aus aller Welt. Heute decke ich fast alles ab – meine Neugier ist mein Kompass.

 

Getränke sind, wie Essen, oft tief in Kulturen verwurzelt – sie tragen Erinnerung, Identität und Tradition. Wie gelingt es dir in deiner Arbeit, diesen unsichtbaren Faden zwischen dem, was wir trinken, und den Geschichten dahinter einzufangen?

 

Es beginnt immer mit vielen Fragen – vielleicht mehr, als man erwarten würde, aber hey, so kommt man an den Kern der Sache. Ich habe auch festgestellt, dass die meisten Menschen sehr gerne über ihre Kultur sprechen. Von da an folge ich einfach meiner natürlichen Neugier. Es ist viel leichter, in die Tiefe zu gehen, wenn Menschen merken, dass du wirklich zuhörst. Ich glaube, jedes Getränk hat eine erzählenswerte Geschichte. Vor allem bei den Dingen, die wir täglich trinken – Kaffee, Matcha, Bier, Mezcal – lohnt es sich, noch ein bisschen weiter zu schauen.

 

Wir waren sofort begeistert, als wir dich zum ersten Mal auf dem Fahrrad Kaffee brühen sahen. Wie kamst du auf diese Idee? War das spontan, inspiriert oder ein lang gehegter Traum? Und gab es dabei Begegnungen, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

 

Lustigerweise kam mir die Idee schon 2016 in Kanada, ganz zufällig. Ich war damals in kompletter Radmontur unterwegs, packte mein Kaffee-Equipment in die Trikottaschen und ließ meinen Vater mit dem Handy von seinem Fahrrad aus filmen. Ich schnitt das Ganze zu einem kleinen Video für YouTube zusammen, hatte aber noch keinen richtigen Kanal. Ich stellte es auch auf TikTok, aber es passierte nicht viel. Jahre später begann ich dann, regelmäßig Inhalte für Wacaco zu produzieren – eine Marke für tragbares Kaffee-Equipment – und versuchte es nochmal auf Instagram Reels. Es lief okay, aber nicht überragend. Dann machte ich eine kleine Änderung: Ich stellte mein Handy auf POV-Modus und machte genau das gleiche – und plötzlich explodierten die Aufrufe. Jedes Video ging durch die Decke und ich wusste, ich hatte einen Nerv getroffen. Inzwischen kommen Leute auf Kaffee-Festivals zu mir und sagen, ihre Freunde hätten ihnen meine Videos geschickt. Einmal rief mir ein Jogger in Barcelona zu, dass er mich kannte, während ich filmte – ziemlich witzig. Ein paar Hater gibt’s natürlich auch, aber das gehört dazu – und irgendwie macht’s das auch spannender!  

 

Gibt es eine Getränkekultur, die deiner Meinung nach unterschätzt wird? Und was verpassen wir, wenn wir sie ignorieren?  

 

Wow, da gibt’s viele – aber man muss auch sagen, dass etwas, das für den einen unterschätzt ist, für jemanden aus einer anderen Kultur alltäglich sein kann. Zum Beispiel: Kaum jemand trinkt Yerba Mate – es sei denn, man ist aus Argentinien, Uruguay oder Teilen Brasiliens, da ist es allgegenwärtig. Dasselbe gilt für echten türkischen Kaffee – schwer zu finden, außer man ist in der Türkei oder in Ländern mit osmanischer Geschichte. Ich empfehle also, solche reichen kulturellen Erfahrungen zu suchen – man lernt das Getränk und die Kultur darum herum ganz neu zu schätzen. Was ich besonders spannend finde ist Sake. Sushi, Ramen und Matcha sind ja weltweit bekannt – aber was ist mit japanischem Sake? Ich glaube, dieses Getränk hat echtes Trendpotenzial, besonders als Wein-Alternative oder in Cocktails. Es hat einen durchdachten, uralten Herstellungsprozess, ist weniger sauer, sehr komplex im Geschmack und passt zu vielen Speisen. 

 

Wenn jedes Getränk eine Geschichte erzählt – welches hat dich mit einem echten „Plot Twist“ überrascht?  

 

Haha, „Plot Twist“ – das gefällt mir. Es gibt da ein paar Getränke, die ich gerne meinen Gästen blind serviere, einfach um ihre Reaktion zu sehen. In Rio de Janeiro war ich einmal in einer Cachaça-Bar, die Cachaça mit verschiedenen Infusionen anbot – Kakao, Passionsfrucht, Minze… und Jambu. Jambu ist, wie mir erklärt wurde, eine Blütenknospe aus dem Amazonas, die ein taubes, prickelndes Gefühl im Mund verursacht. Mit Cachaça infundiert war das ein gefährlich leckeres Getränk, vor allem als Caipirinha. Ich habe mir eine Flasche mit nach Hause genommen, und es war immer ein Riesenspaß, die Reaktion meiner Freunde beim ersten Schluck zu beobachten. Später habe ich angefangen, selbst zu experimentieren – mit den betäubenden Szechuan-Pfefferkörnern aus Yunnan, die ich von früher kannte. Die waren leichter zu bekommen und günstiger als Jambu.

 

Gen Z trinkt weniger Alkohol als frühere Generationen, gleichzeitig boomt die Kaffeekultur. Wie siehst du diesen Wandel und was bedeutet er für die Zukunft unseres Trinkverhaltens?  

 

Das hört man momentan oft und ich sehe das insgesamt sehr positiv. Nicht nur aus gesundheitlicher Sicht (körperlich und mental), sondern auch weil es zeigt: Menschen konsumieren bewusster. Viele junge Menschen denken heute stärker darüber nach, was sie konsumieren, was sie daraus mitnehmen – und wie es andere beeinflusst. Ich nenne diese Menschen „Sippers“. Es ist eine Denkweise, ein Lebensgefühl: Man nimmt sich Zeit, genießt das Getränk, reflektiert über Geschmack und Erlebnis. Beim Kaffee zum Beispiel können Farmer besser verdienen, wenn wir auf Qualität achten und nicht nur auf Koffein. Und bei Tequila müssen wir keine Shots trinken, die Kopfschmerzen machen und nur mit Salz und Limette halbwegs erträglich sind – wir können ein kulturell bedeutsames Getränk auch langsam und bewusst genießen. Der Rausch ist dabei ein netter Bonus – aber nicht der Hauptzweck.

 

Deine Firma Journee Studios ist nicht einfach nur eine Produktionsfirma – sie wirkt eher wie eine gelebte Philosophie. Wenn dein Studio ein geheimes Manifest hätte – was stünde auf der ersten Seite?  

 

Lasst uns eine Welt inspirieren, die Tiefe über Trends stellt. Wo Marken und Menschen sich über Geschichten von Tradition, Menschen und Kulturen verbinden. Als „Sippers“ tauchen wir ein in Geschmack und Textur. In Präsentation und Erlebnis. Und wenn nötig – mit Kamera in der Hand. Bleib neugierig. Und hör nicht auf Getränke zu schlürfen. 😊

"In die Tiefe zu gehen, wenn Menschen merken, dass du wirklich zuhörst. Ich glaube, jedes Getränk hat eine erzählenswerte Geschichte. Vor allem bei den Dingen, die wir täglich trinken – Kaffee, Matcha, Bier, Mezcal – lohnt es sich, noch ein bisschen weiter zu schauen. "